Eine junge Dokumentarfilmerin hat dieser Tage in Bratislava versucht, sich in die Situation obdachloser Menschen zu begeben. In Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation Vagus hat sie drei Nächte in der Hauptstadt im Freien verbracht. Sie wollte damit auch zeigen, wie schnell es passieren kann, dass man sich plötzlich selbst in einer ähnlichen Situation wiederfindet. Radka Šišuláková über ihre erste Dezembernacht im Freien: „Ich habe mir Kartons aus Containern geholt. Diese habe ich als Schlafunterlage verwendet. Die Nacht habe ich im Stadtzentrum verbracht, irgendwo unter einem Vordach. Man fürchtet sich davor, was sich um einen herum tut. Und noch dazu ist es wirklich kalt.“
Schätzungen zufolge leben in Bratislava rund 5.000 Menschen ohne ein festes Dach über dem Kopf, tausende weitere sind es in anderen slowakischen Städten. Die Gründe dafür sind verschieden und reichen von Suchtproblemen über Krankheiten bis zum plötzlichen Verlust eines Partners oder der Arbeit. Außerdem waren viele der Menschen, die die Organisation Vagus heute in seinem Tageszentrum betreut, früher Pfleglinge in Kinderheimen. Um Menschen vor dem Schicksal der Obdachlosigkeit zu bewahren, braucht es vor allem professionelle Hilfe für all jene, die davon bedroht sind. Die Direktorin von Vagus, Alexandra Kárová: „Es fehlt ein System der Prävention, das Menschen, die in Krisensituationen geraten, auffängt. Denn wenn man einmal auf der Straße gelandet ist, ist es sehr schwierig, wieder den Weg zurück in ein normales Leben zu finden. Denn dann häufen sich schnell verschiedene Schulden an.“
Maßnahmen zur Prävention dieser Schuldenfalle hat die slowakische Regierung im November in Aussicht gestellt. Sozialminister Milan Krajniak (Sme rodina): „Wir führen schrittweise in der gesamten Slowakei dank Unterstützung der Europäischen Union Schuldnerberatungen ein. Dort erhält jeder die Möglichkeit, sich darüber beraten zu lassen, wie er seine Schulden so restrukturieren kann, damit er nicht das Dach über dem Kopf verliert.“
Diejunge Dokumentarfilmerin hat im Rahmen ihres Selbstversuchs drei Tage und Nächte auf den Straßen Bratislavas verbracht. Für Menschen, die ihr Dach über dem Kopf verlieren, ist dies jedoch meist nur der Beginn eines Teufelskreises. Dazu kommen heute auch noch weitere Erschwernisse aufgrund der Pandemie: „Wegen Covid hat alles geschlossen. Daher gibt es auch kaum Arbeitsmöglichkeiten für Menschen, die schnell Geld verdienen müssen, um etwas einen Monat im Voraus bezahlen zu können. Das Ganze ist ziemlich kompliziert.“
Ihre Erfahrungen von der Straße und mit sozialen Einrichtungen hat die Filmerin auch per Video dokumentiert. So kann sich jeder - bequem von Zuhause aus und über soziale Netzwerke - selbst ein Bild davon machen, welchen Problemen man als Obdachlose begegnet.
Quelle: RTVS