Misstrauensanträge gegen Premiers: Tradition in der Slowakei

Misstrauensanträge gegen Premiers: Tradition in der Slowakei

"Der Premier eines nicht normalen Landes" titelte die slowakische Nachrichtenagentur TASR zum Wochenende in einem Kommentar des Schriftstellers und Journalisten Márius Kopcsay. Dabei ging es um den Oppositionsantrag auf Vertrauensentzug gegen Regierungschef Igor Matovič von OĽaNO - nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt. Ihm wurden die Plagiatsaffäre wegen seiner Diplomarbeit sowie ein angebliches Versagen bei den Verhandlungen zum Corona-Hilfspaket der EU vorgeworfen. Der OĽaNO-Abgeordnete und Landwirtschaftsminister Ján Mičovský hatte sich so geäußert, dass „…in einem anständigen normalen Land ein hoher Verfassungsbeamter wegen Übertretungen oder jugendlicher Verfehlungen zurücktreten würde…", doch die Slowakei sei kein normales Land nach den drei zurückliegenden Wahlperioden, so der Minister.

Schaut man in die politische Nachwende-Geschichte der Slowakei, so kann man sie als eine Chronik des Misstrauens und der Rücktritte lesen. Das Parlament hatte 1991 zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten abgesetzt - Vladimír Mečiar. Seine Regierung wurde 1994 zum zweiten Mal entlassen. Zum dritten Mal hat der Nationalrat 2011 eine Regierung zu Fall gebracht - Premierministerin Iveta Radičová hatte schlussendlich selbst die Vertrauensfrage gestellt und scheiterte u. a. auch an ihren eigenen Leuten. Insgesamt gab es in knapp 30 Jahren 15 Vertrauensfragen bzw. Misstrauensanträge, darunter drei Mal bei den Regierungen Dzurinda und sieben Mal bei den Regierungen Fico. Auch der vormalige Premier Pellegrini, der 2018 die Funktion übernahm, sah sich 2019 damit konfrontiert.

In der vorigen Woche nun also der Vorschlag, dem neuen Premier Matovič das Misstrauen auszusprechen - unterbreitet von der dezimierten Fraktion der Smer-SD, aber auch von sozialdemokratischen Ex-Smer-SD-Abgeordneten. Am Ende eines fast 19-stündigen Sondersitzungsmarathons, in dem es auch zwischenzeitlich eine Blockade des Rednerpults durch Abgeordnete der rechtsextremen Kotleba-ĽSNS sowie etliche gegenseitige verbale Angriffe gab, wurde der Misstrauensantrag gegen Igor Matovič von nur 47 der 125 anwesenden Abgeordneten unterstützt. Er behielt, wie zu erwarten, sein Amt. Die Ereignisse im Plenum und das Ergebnis der Abstimmung bewertete der Politologe Jozef Lenč in den RTVS-Abendnachrichten so: „Die Koalition versuchte, das nicht zu Verteidigende zu verteidigen, während sich die Opposition bemühte, das Unerreichbare zu erreichen. Man könnte den populär gewordenen Spruch von Wiktor Tschernomyrdin anwenden: Wir haben unser Bestes getan, aber es ist wie immer ausgegangen. Ich denke, es war gewissermaßen die Angst die entscheidend war, denn es wurde ja oft genug gesagt, dass mit Matovič die ganze Regierung fallen und dann Smer wieder an die Macht kommen würde."

Es zeige sich jedoch auch, so Politikanalytiker Lenč, dass das eigentliche Thema der Plagiatoren durchaus in der Gesellschaft diskutiert werden sollte, denn es handle sich auch in solchen Fällen um Diebe. Mit Blick auf die Wahlversprechen der aktuellen Regierung sollten aber eben alle Arten von Diebstahl verurteilt werden, wenn man eine anständige Slowakei aufbauen wolle.

Quellen: RTVS, TASR

Kay Zeisberg, Foto: TASR

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