Neujahrsansprache von Staatspräsidentin Zuzana Čaputová

Neujahrsansprache von Staatspräsidentin Zuzana Čaputová

Werte Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ich wünsche Ihnen einen angenehmen feierlichen Nachmittag. Ich spreche zu Ihnen am Anfang des Neuen Jahres mit der der Hoffnung, dass Sie sich gesund und zusammen mit ihren Nächsten auch über die Kleinigkeiten, die unseren Alltag ausmachen, freuen können werden. Ich wünsche uns allen, dass wir die Chancen ergreifen, die uns das neue Jahr geben wird, so dass wir an einer erfolgreichen Slowakei arbeiten können, die ein Zuhause für uns alle darstellt. Eine Slowakei die eben 27 Jahre alt wurde.

Es wäre mir am liebsten, wenn ich Sie in meiner ersten Neujahrsansprache mit netten Worten streicheln könnte, doch so wäre die Ansprache nicht wahrheitsgetreu. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass sie eine Botschaft über Hoffnung überliefern kann. Eine Hoffnung, die jeder von uns erfüllen kann.

Die Atmosphäre, in der sich unsere Gesellschaft gegenwärtig befindet, ist nicht festgegeben und unveränderlich. Sie wird von uns allen geprägt. Traurig und desillusioniert sehe ich, wie Grobheit, Vulgarität und Manipulation die öffentliche Debatte dominieren. Wir gewöhnen uns langsam daran, dass persönliche Attacken zu einer legitimen Vorgehensweise geworden sind. Als wäre die Demütigung des Gegners der einzige Weg, sich selber und seine eigene Ideen durchzusetzen. Es wird oft zweckorientiert, verantwortungslos und ohne Gedanken auf mögliche Folgen, gehandelt. Das eigene Gewissen wird zum Schweigen gebracht. Wir alle sind müde von den zahlreichen Konflikten.

Wir müssen jedoch daran denken, dass wir alle gemeinsam in der Slowakei leben werden, auch wenn die gegenwärtigen Konflikte vorbei sind. Je respektvoller und neidloser wir nun miteinander verkehren, je weniger wir uns aufgrund der Konflikte voneinander entfernen, desto besser werden wir damit zurechtkommen können, wenn sich die Lage nach den Parlamentswahlen nicht im Einklang mit unseren Erwartungen profilieren wird. Wir alle machen die Slowakei aus. Und jeder, der will, dass es dem Land gut geht, soll in dem Anderen seinen Bruder, seine Schwester, seinen Mitbürger sehen, der nicht immer derselben Meinung sein muss, doch der ebenfalls an diesem Vorhaben mitmacht.

Im zurückliegenden Jahr gab es in der Slowakei Ereignisse, die beweisen, dass wir sehr wohl einfühlsam, großzügig und opferbereit sein können. Wir kommen uns besonders dann näher, wenn unsere Mitbürger vom Unglück betroffen werden und dabei ihr Eigentum verlieren oder sogar ums Leben kommen. Zwischen uns gibt es sehr viel Zusammengehörigkeit, viel mehr als wir denken. Die Slowakei ist ein Land der guten Menschen. Es ist ein Grund zum Stolz und zur Dankbarkeit.

Liebe Mitbürger,

Wenn ich über die Solidarität und Zusammengehörigkeit spreche, meine ich selbstverständlich nicht eine falsche Solidarität mit denjenigen, die gesetzeswidrig handeln und die damit, leider, durchkommen. Die Einhaltung von Regeln und die Pflicht, dafür Konsequenzen tragen zu müssen, wenn man sie bricht - oder einfacher gesagt die Gewährleistung von Fairness im alltäglichen Leben - dies ist es, was wir noch dem November 1989 schulden. Wir haben ein wichtiges Jahr hinter uns, in dem wir Tatsachen enthüllt haben, die uns öfters atemlos ließen. In den veröffentlichten Aufnahmen konnten wir sehen und hören, dass viele von denjenigen, die der Gerechtigkeit und dem öffentlichen Interesse dienen sollten, auf der anderen Seite standen. Es ist für Niemanden angenehm zu sehen, wie ein Verdächtiger den ehemaligen Generalstaatsanwalt demütigt, korrumpiert und wie ihm dieser anschließend dient.

Die Probleme, denen wir gegenüberstehen, sind keine kleinen Probleme. Trotzdem glaube ich fest daran, dass wir uns dank der Arbeit von ehrlichen Ermittlern und Staatsanwälten in einem Prozess einer Heilung befinden. Selbstverständlich darf dieser nicht angehalten und muss fortgesetzt werden. Wie es in der Bibel steht: ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen. Es wäre nur gut, wenn dieser Bibelspruch die Grundlage für das nächste Jahr wäre, für das Jahr der Möglichkeiten.

Rechtsdurchsetzung, Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz statt Korruption, Formalismus und Missbrauch der Justiz. Dies sollten die wichtigsten Ziele für die nächsten Jahre sein. Um diesen näher zu kommen, werden Reformschritte erforderlich, damit die Unabhängigkeit der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte gestärkt werden kann. Ohne Fairness kommt kein gesunder Staat zustande.

Liebe Mitbürger,

das letzte Jahr hat uns wieder gezeigt, dass viele Slowaken kein wirklich würdiges Leben führen können. Ich sprach mit Menschen, die in ständiger Zukunftsangst leben, obwohl sie tagtäglich hart arbeiten. Mit Frauen, die jahrelang Gewalt erleben mussten, ohne jegliche Hilfe zu bekommen. Mit Menschen, die sich seit ihrer Kindheit minderwertig fühlen, nur weil sie zu einer Minderheit gehören oder weil ihre Hautfarbe anders ist. Mit Menschen, für die fließendes Wasser oder die Wohnsicherheit ein unerreichbarer Traum bleiben. Mit Menschen, die zu einem Hassobjekt wurden, nur aufgrund ihres Andersseins oder ihres Wunsches ein Familienleben führen zu wollen, so wie alle anderen.

Ich möchte die Tapferkeit und die Beharrlichkeit dieser Menschen hervorheben, die ihrem Schicksal und Situationen standhielten, die für viele von uns unvorstellbar sind. Wir alle haben in der Slowakei unseren Platz, unser Heim, das Recht auf Dienstleistungen seitens des Staates und das Recht auf ein würdiges Leben. Jemandem anderen die Chance zu geben, ein würdiges Leben zu führen, macht unsere eigenen Chancen in dieser Hinsicht nicht geringer. Im Gegenteil, wenn wir Menschen, die am Rande der Gesellschaft oder in materieller Not leben, in die Gesellschaft integrieren, tragen wir somit auch zu mehr Prosperität für das ganze Land bei, ein Land das ein besseres Zuhause für uns alle sein wird.

Außer der Gewährleistung von Gerechtigkeit für alle möchte ich noch weitere Herausforderungen erwähnen, denen wir in diesem Jahr gegenüber stehen.

In weniger als zwei Monaten wird der Wähler der König sein und bei den Parlamentswahlen wird man darüber entscheiden, wer die Bürger im Abgeordnetenhaus vertreten soll. Ergreifen wir doch diese Gelegenheit und gehen wir, bitte, zur Wahl.

Machen wir aus 2020 ein Jahr der erfüllten Möglichkeiten. Lassen Sie uns mit den Reformen im Gesundheitswesen fortfahren, sodass weniger Menschen sterben müssen, obwohl ihnen geholfen werden konnte. Sodass wir nicht an einem Mangel an Ärzten und Krankenschwestern leiden und die Gesundheitspflege auf einer vertrauenswürdigen Basis gewährleistet wird.

Lassen Sie uns ein System einer nachhaltigen Altenpflege ausbauen, da wir die am schnellsten alternde Bevölkerung in der Europäischen Union haben und nicht über ein entsprechendes Netzwerk von Einrichtungen und Personal verfügen.

Wir müssen auch unsere ambitionierten Ziele im Bereich des Klimaschutzes erfüllen. Wir können sehr wohl die letzte Generation sein, die noch Schritte zur Rettung des Planeten unternehmen kann. Deshalb müssen wir jetzt handeln. Wir müssen unsere Wälder schützen, unsere Luft sauber halten und das Artensterben stoppen.

Es wird öfters gesagt, dass wir ein kleines Land sind und deswegen nicht viel ausrichten können. Die Kraft der Ideen und Innovationen, mit denen wir mit der Welt konkurrieren können, hängt jedoch nicht von der Einwohnerzahl ab. Sehr wohl hängt sie aber mit den Investitionen in das Bildungswesen und in die Forschung zusammen.

Wir sollten den Fokus auch auf die Abschaffung der von einer auf die andere Generation übertragenen Armut sowie des Mangels an Wohnmöglichkeiten legen. Wir sind ein Land mit einer wesentlich niedrigeren Anzahl an Wohnungen pro Einwohner, wie es sonst in der EU der Fall ist, wobei die bestehenden Gebäude oft desolat sind. Denken wir dabei an junge Menschen, die wir in der Slowakei halten wollen, denn auf sie wird sich die Slowakei künftig stützen müssen.

Denken wir öfters an unsere Kultur und unser Kulturerbe. Sie helfen uns, die umliegende Schönheit zu begreifen, spiegeln jedoch auch den ständigen Konflikt zwischen Gut und Böse wider, beleben das kollektive Gedächtnis über die bewegten Zeitabschnitte unserer Geschichte wieder und stellen Fragen über die Moral und den Sinn des Lebens.

All diese Herausforderungen kann man kaum innerhalb eines Jahres bewältigen, viele nicht einmal innerhalb der Amtszeit einer Regierung. Dennoch ist es nötig, dass wir bereits 2020 konkrete Schritte unternehmen, die zu den erwünschten Veränderungen beitragen.

Wir dürfen uns nicht vom Ausmaß der Ziele abschrecken lassen. Konzentrieren wir uns auf den Weg, auf die einzelnen Schritte, die zur Erfüllung dieser Ziele führen.

Werte Mitbürger,

vergessen wir nicht, dass wir Gründe zum Stolz haben. Der Slowakei geht es in vielen Bereichen gut, im Ausland werden wir als ein respektierter und stabiler Partner angesehen, unsere Landsleute verzeichnen weltweit verschiedene Erfolge. Wir müssen noch mit den Problemen einer jungen Demokratie zurechtkommen, die sich vor allem in den Defiziten des Rechtsstaates zeigen. Die Slowakei hat ein großes Potenzial, das man gemeinsam, in einer Zusammenarbeit, mit allerlei bunten Ideen und verschiedenen Meinungen, nutzen sollte. Das Jahr 2020 soll ein Jahr der erfüllten Möglichkeiten werden.

Wir schaffen das.

Juraj Pavlovič, Foto: Prezident.sk

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